Dr. iur. Daniel Rietiker; Lehrbeauftragter im Völkerrecht
Universität Lausanne, Vorsitzender des Vereins Schweizer Anwälte für
Nukleare Abrüstung (SAFNA)
Am 29. November 2020 entscheidet die Schweizer Stimmbevölkerung über
die von der GsoA und den Jungen Grünen eingereichte Initiative “Für ein
Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten”
(Kriegsgeschäfte-Initiative). Sie will, dass die Schweizer Nationalbank,
die AHV und die Pensionskassen ihr Geld so anlegen, dass internationale
Waffenproduzenten nicht davon profitieren. Der Autor vertritt die
Meinung, dass die Initiative rechtlich und politisch unproblematisch ist
und den hiesigen Grundwerten entspricht. Deshalb sollte sie angenommen
werden.
Was will die Initiative?
Kriege sind nicht nur mit unfassbarem menschlichen Leid verbunden,
sondern auch sehr kostspielig und können nur geführt werden, wenn
genügend Geld für sie vorhanden ist. Auch Kriegsmaterialproduzenten sind
auf finanzielle Mittel von Dritten angewiesen. Diese erhalten sie unter
anderem über ihre Präsenz auf dem internationalen Finanzmarkt.
Investitionen in internationale Finanzprodukte sind attraktive
Anlagemöglichkeiten, auch für Schweizer Banken, Vorsorgeinstitute und
Stiftungen. Auch die Schweizer Nationalbank (SNB) legt ihr Vermögen
grenzüberschreitend an. Die Pensionskassen investieren jährlich mehrere
Milliarden Franken in Rüstungskonzerne und die SNB investierte 2019
allein im ersten Halbjahr fast 1,5 Mia Dollar in US-amerikanische
Firmen, die Kriegsmaterial herstellen, inklusive geächtetes und
humanitär kaum zu verantwortendes (wie Landminen, Streumunition oder
Massenvernichtungswaffen).
Als Beispiel kann das US-amerikanische Unternehmen Boeing angeführt
werden, das meist als Mischkonzern bezeichnet wird und dem
durchschnittlichen Konsumenten höchstens wegen der Flugzeugsparte des
Konzerns etwas sagt, wobei der Rüstungszweig fast 30% des Gesamtumfangs
ausmacht. Ende 2019 hatte die SNB mehr als 549 Mio USD in Boeing
angelegt, die UBS sogar 2,78 Mia USD. Boeing produziert hauptsächlich
Kampfflugzeuge, ist aber auch im Atomwaffengeschäft tätig.
Angesichts der globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemien
oder massive Flüchtlingsströme ist weltweite Aufrüstung nicht der
richtige Weg. Die Schweiz ist zwar als neutrales Land nicht in
kriegerische Auseinandersetzungen involviert, aber zur Bewaffnung der
Welt trägt sie dennoch bei. Die Kriegsgeschäfte-Initiative will genau
diesen Missstand beheben indem kein Schweizer Geld mehr in die
Rüstungsindustrie fliessen soll. Dabei soll insbesondere der Besitz von
Aktien von Kriegsmaterialproduzenten sowie von Anteilen an Fonds, die
solche Aktien enthalten, verboten werden.
Warum das aktuelle System nicht funktioniert?
Natürlich können die genannten Institute auch heute schon proaktiv
gewisse Firmen oder gesamte Sektoren aus ihrem Anlageportfolio
ausschliessen, was aber bloss in Einzelfällen passiert. Und auch
anwendbaren rechtlichen Regeln greifen nicht.
Das im Jahr 2013 revidierte Kriegsmaterialgesetz (KMG) verbietet die
Finanzierung von verbotenem Kriegsmaterial. Unter das Verbot fallen
Atom-, biologische und chemische Waffen. Das Gesetz verbietet direkte
sowie indirekte Finanzierung. Unter die direkte Finanzierung fallen u.a.
die unmittelbare Gewährung von Krediten, Darlehen und Schenkungen.
Indirekte Finanzierung, die in der Praxis eine weit grössere Rolle
spielt, ist hingegen nur verboten, wenn damit das Verbot der direkten
Finanzierung umgangen werden soll. Genau hier will die Initiative
Abhilfe schaffen und diese Art von Finanzierung generell verbieten.
Unter den Begriff “indirekte Finanzierung” fallen die Beteiligung an
Gesellschaften, die verbotenes Kriegsmaterial entwickeln, herstellen
oder erwerben, sowie der Erwerb von Obligationen und anderen
Anlageprodukten, die durch solche Gesellschaften ausgegeben werden.
In der Praxis stellt sich das KMG als stumpfe Waffe heraus.Ein
ziemlich offensichtliches Problem ergibt sich zunächst durch das Prinzip
der self-regulation. In der Tat obliegt die Umsetzung und
Überwachung des Finanzierungsverbots im KMG weitgehend den
entsprechenden Normadressaten. Das reicht kaum für eine effektive
Umsetzung des Finanzierungsverbots. Zweitens bleiben die
strafrechtlichen Bestimmungen des KMG oft weitgehend ineffektiv. Wenn
jemand die Möglichkeit einer Widerhandlung gegen das Finanzierungsverbot
lediglich in Kauf nimmt, im Sinne eines Eventualvorsatzes,
kommt er nämlich straffrei davon. Drittens ist in der Praxis die Absicht
der Umgehung des Verbots sehr schwierig zu beweisen.
Fadenscheinige Argumente gegen die Initiative
Eines der Hauptargumente der Gegner der Initiative, inclusive
Bundesrat, sind die angeblich negativen Auswirkungen auf die
Rüstungsindustrie der Schweiz, inklusive dem Verlust von Arbeitsplätzen
in den Rüstungsbetrieben und ihren Zulieferern. Dem lässt sich
entgegnen, dass die hiesige Rüstungsindustrie nur sekundär betroffen
wäre und dass das Finanzierungsverbot in erster Linie die SNB,
Stiftungen und Vorsorgeeinrichtungen trifft. Kaum ein Schweizer
Rüstungsunternehmen ist gross genug, in einem geläufigen internationalen
Fond, in den die SNB oder Pensionskassen investieren, abgebildet zu
sein.
Es wird ferner behauptet, dass der Ausschluss von Rüstungsproduzenten
aus Anlageportfolien die Rentensicherheit gefährden oder die Gewinne
schmälern würde. Die rasanten Entwicklungen im Bereich der Steuerung von
Finanzflüssen in nachhaltige Aktivitäten (sustainable finance) beweisen aber das Gegenteil: nachhaltiges Investieren ist gewinnbringend und die Zukunft des Finanzsektors.
Stichhaltige Argumente für die Initiative
Eine Annahme der Initiative hätte zahlreiche positive Auswirkungen.
1. Weniger Waffen und Gewalt: Das Geschäft mit den Waffen
floriert. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist eine stetige Zunahme von
Waffen und eine erschreckende Innovation von Waffentechnologie
feststellbar. Je mehr Waffen im Umlauf sind, desto gefährlicher können
schon kleine Konflikte und Reibereien werden. Ferner wird das Risiko der
Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, incl. Atomwaffen,
akzentuiert.
2. Bekämpfung der Flüchtlingsströme: Millionen Menschen
werden weltweit durch Kriege und Konflikte aus ihrer Heimat vertrieben.
Werden potentiellen Kriegen und Konflikten durch das Versieben von
Waffenlieferungen der Boden entzogen, trägt das zur Bekämpfung der
Fluchtursachen bei.
3. Friedensförderung: Das Engagement der Schweiz in der
Friedensförderung, Menschenrechtspolitik und Entwicklungszusammenarbeit
ist zentral für die Verhinderung von bewaffneten Konflikten. Die Schweiz
kann stolz sein auf ihre humanitäre Tradition und ihre Neutralität,
sowie auf ihre Rolle als Mediator zwischen Konfliktsparteien. Wenn nun
aber Milliarden von Schweizer Franken in die Kassen der
Kriegsmaterialproduzenten fliessen, deren Waffen Kriege und
Blutvergiessen erst ermöglichen, erscheint das weder kohärent noch
glaubwürdig.
4. Bekämpfung des Klimawandels: Der Klimawandel stellt ohne
Frage eine der grössten Bedrohungen der Menschheit dar. Die
Rüstungsindustrie gehört zu den schmutzigsten Sektoren der Wirtschaft
überhaupt und verpestet die Umwelt sowohl durch die Produktion wie auch
den Einsatz von Kriegsmaterial gleich doppelt. Kriege bedeuten
grundsätzlich die direkte Zerstörung der Umwelt durch die Verschmutzung
von Boden und der Verseuchung von Trinkwasser.
5. Nachhaltigkeit des Finanzplatz Schweiz: Die Bedeutung von Nachhaltigkeit ist ein Thema, das Staaten und Experten auf der ganzen Welt beschäftigt. Der Markt an nachhaltigen Investitionen ist im Jahr 2019 um 62% gestiegen. Ein nachhaltiger Finanzplatz ist das beste Aushängeschild, das sich die Schweiz wünschen kann.
Fazit
Die Initiative drückt ganz klar die Werte und Bedürfnisse der Schweiz
aus. Aus all diesen Gründen ist es wichtig, am 29. November der
Kriegsgeschäftsinitiative zuzustimmen.