Bericht - IALANA Deutschland – Vereinigung für Friedensrecht veranstaltete am 23.11.2018 eine öffentliche Veranstaltung „Chemiewaffeneinsätze in Syrien - Aufklärung der Fakten und völkerrechtliche Konsequenzen“ an der Humboldt Universität zu Berlin.
Als Referierende konnten Jan van Aken (ehem. UN Biowaffeninspekteur, DIE LINKE), Gerhard Baisch (IALANA), Kristin Helberg (Journalistin) sowie für die anschließende Podiumsdiskussion Elias Perabo (Adopt a Revolution) gewonnen werden. Bemühungen um eineN VertreterIn des Auswärtigen Amtes waren leider ergebnislos geblieben. Mehr als 130 Interessierte nahmen an der Veranstaltung mit anschließender Diskussion, teil.
Otto Jäckel, Vorsitzender der IALANA, verwies in seiner Begrüßung auf die rechtwidrige Beteiligung der Bundeswehr an der Anti-IS-Koalition, deren Rechtsgrundlage „die von Frankreich nach den Massenmorden vom 13. November 2015 in Paris initiierte Resolution 2249 (2015) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen bieten“ solle. Otto Jäckel resumiert: „Der Aufenthalt der Bundeswehr im syrischen Luftraum ist […] illegal“, da die Resolution keine militärischen Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta anordne und Syrien keine Bitte äußerte, sie im Kampf gegen den IS auf syrischem Gebiet zu unterstützen. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 10. September 2018 folgerte laut Jäckel, „neuerliche geplante Vergeltungsschläge wegen des Einsatzes von Chemiewaffen stünden […] ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat und ohne Selbstverteidigungslage der Akteure auf wackeligen Füßen.“
Jan van Aken beleuchtete in seinem Beitrag die technischen Aspekte von Chemiewaffen, Chemiewaffeninspektionen sowie seine Einschätzungen zu den Chemiewaffeneinsätzen in Syrien, v.a. Ghouta, Khan Sheikhoun und Douma. Das in Syrien eingesetzte Sarin sei aus den Beständen des Regimes, aber wo es herstammte sage nichts darüber aus wer es eingesetzt hat. Waffenlager seien in diesem Krieg von verschiedenen Seiten eingenommen worden und es sei durchaus wahrscheinlich, dass Chemiewaffen in die Hände von Rebellen gelangt seien. Das Handling von Waffensystemen die mit Sarin bewaffnet werden können, ist laut van Aken relativ einfach und unkompliziert; keine Chemiker würden gebraucht, sondern einfache Soldaten die eine spezielle Ausbildung erfahren. Daher sei es durchaus möglich, dass andere als „Assads Spezialtruppe“ Sarin eingesetzt haben.
Der OPCW-UN Joint Investigative Mechanism (JIM) sei als einziger in der Lage technisch so sauber zu arbeiten, dass das Ergebnis politisch kaum beeinflusst werden könne. Daher vertraue Jan van Aken nur den Untersuchungsergebnissen des JIM. Zumindest den Sarin-Einsatz in Khan Sheikhoun schreibt der JIM dem Assad-Regime zu. Trotz fehlender Untersuchungen vor Ort sei Jan van Aken von der Richtigkeit des Berichts überzeugt, Assad-Truppen haben sehr wahrscheinlich den Angriff verübt. Zweifelsfrei sei Sarin eingesetzt worden. Abbauprodukte und menschliche Reaktion auf Sarin ließe zweifelsfrei sagen, ob ein Mensch Sarin ausgesetzt war oder nicht. Der auf Bildern dokumentierte Krater sei durch ein schweres Objekt, welches auf die Straße gefallen sei erzeugt worden. Dies hätten 3 aus nicht involvierten Staaten kommende Experten unabhängig voneinander bestätigt. Da die Lufthoheit in diesem Gebiet zum Zeitpunkt des Sarin-Einsatzes bei den Truppen Assads lag, müsse der Angriff von diesen ausgegangen sein.
Abschließend stellt Jan van Aken klar, dass Konsequenzen von Chemiewaffeneinsätzen keine Bombenabwürfe sein dürfen, sondern rechtsstaatliches Handeln erforderlich sei. Der International Impartial and Independent Mechanism (IIIM) der Vereinten Nationen sammele relevante Unterlagen, um die Täter nach dem Krieg vor nationalen oder internationalen Gerichten zur Verantwortung ziehen zu können.
Gerhard Baisch beleuchtete den rechtlichen Rahmen für die Frage „Wie kann die Völkergemeinschaft unter Beachtung des Völkerrecht reagieren auf diese Chemiewaffeneinsätze. Er stellte heraus, dass die Chemiewaffeneinsätze schwere Kriegsverbrechen sind, denen v.a. die Zivilbevölkerung zum Opfer gefallen seien. Die internationale Staatengemeinschaft verurteile die Einsätze einmütig. Der weitere Einsatz müsse unbedingt verhindert und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Die Verantwortlichkeiten der Chemiewaffeneinsätze stünde hier im Vordergrund, diese lasse sich jedoch weder anhand prinzipieller politscher Auffassungen noch anhand der Einsatzorte klären. Gerhard Baisch schilderte die völkerrechtliche Ächtung des Einsatzes von Giftgas in militärischen Auseinandersetzungen von der Haager Konvention von 1899 bis zur Chemiewaffenkonvention, die 1993 beschlossen wurde und 1997 in Kraft trat. Mit der Ratifikation verpflichteten sich die Staaten auch, umgehend ihre Bestände zu deklarieren und bis 2012 alle Chemiewaffen unter internationaler Aufsicht zu vernichten. 1997 trat die CWC in Kraft zwischen damals 65 Staaten. Heute fehlten von den 197 Staaten der Welt nur vier Staaten: Ägypten, Nordkorea, Südsudan und Israel (nicht ratifiziert). Für die Überwachung der Einhaltung der Konvention wurde die OPCW, die „Organisation of the Prohibition of Chemical Weapons“ mit Sitz in Den Haag beauftragt. Die OPCW, bzw. der Exekutivrat der Staatenkonferenz treffe „Maßnahmen zur Bereinigung einer Lage und zur Gewährleistung der Einhaltung dieses Übereinkommens, einschließlich Sanktionen“. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen setze die OPCW unmittelbar die UN-VV und den SR in Kenntnis. Gerhard Baisch schilderte ebenfalls den Unterschied zwischen völkervertraglicher Seite und der individuellen Verantwortlichkeit handelnder Personen. Der Einsatz von Giftgas ist nicht nur ein Bruch der CWC-Konvention und des Völkergewohnheitsrechts, sondern auch ein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafrecht Art. 8 Abs.2 lit. b) Ziff. 18 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.7.1998. Auch das in Deutschland die Folgen von Straftaten gegen das Völkerrecht regelnde Völkerstrafgesetzbuch drohe dem mit Freiheitsstrafe, der „im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt […] biologische oder chemische Waffen verwendet“. Gerhard Baisch ging auch auf die Giftgaseinsätze in Syrien ein. Sein juristisches Plädoyer: „Nur wenige der Vorfälle sind so gründlich untersucht worden, dass am Ende auch ein begründeter Verdacht stand, welche Seite im Syrienkrieg dafür vermutlich verantwortlich sein dürfte.“ Die JIM habe dazu nur 14 Fälle untersucht in denen sie in sechs eine Beurteilung abgegeben haben. Die gesammelten Zeugenaussagen, Sachbeweise und Gutachten seien in keinem einzigen Fall in einem ordentlichen Gerichtsverfahren bewertet und beurteilt worden und auch der UN-Sicherheitsrat habe bisher in keiner Resolution die Ergebnisse der JIM-Untersuchungen bewertet. Gerhard Baisch stellt fest, dass man nach heutigem Stand selten sagen könne „fest steht, dass …“. Dies sei zutiefst unbefriedigend, angesichts der vielen Giftgasopfer.
Gerhard Baisch ging auf die verschiedenen Untersuchungskommissionen ein. Die Fact Finding Mission der UN habe die Aufgabe gehabt festzustellen, ob jeweils Giftgas eingesetzt wurde, nicht von wem. Nach dem Beitritt Syriens zur CWC untersuchte die OPCW-Fact Finding Mission die ihr gemeldeten Giftgaseinsätze, jeweils unter der Frage: kann dort der Einsatz von Giftgas nachgewiesen werden? Der UN-Menschenrechtsrat (UN-HRC) setzte eine „Unabhängige internationale Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien“ ein, die neben vielen Aufgaben auch Giftgaseinsätze untersuchte, von ihrem Ansatz her unter der Frage: wer kann jeweils strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden? Aber: die Kommission durfte nicht nach Syrien einreisen, konnte folglich keinen Tatort besichtigen, sondern interviewte nur Geflüchtete. Gerhard Baisch verwies auf Kommissionsmitglied Carla del Pontes kritische Aussagen zur Kommission: „Unser Mandat war, die Täter zu identifizieren. Doch am Tatort waren wir nicht, und die verschiedenen Seiten haben uns den Zugang zu aufschlussreichen Unterlagen verweigert. Ressourcen hatten wir zu wenig und zu wenig Geld für umfassende Ermittlungen. Vielen der gesammelten Indizien müsste noch auf den Grund gegangen werden, sonst würden die Beweise vor einem Strafgericht nicht standhalten“. Gerhard Baisch stellte die Belastbarkeit der Untersuchungen der Kommission insgesamt in Frage und warnte davor sich auf diese zu berufen.
In Bezug auf die westlichen Militärschläge gegen das Assad-Regime wegen angeblicher Giftgaseinsätze führte Gerhard Baisch weiter aus: „Die Luftangriffe des Westens waren nicht nur nicht gerechtfertigte Maßnahmen, sondern jeweils ein schwerer Völkerrechtsbruch, konkret des völkerrechtlichen Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta. Es handelte sich um Völkerrechtliches Faustrecht‘, um ‚verbotene Selbstjustiz‘, selbst wenn damals schon nachgewiesen gewesen wäre oder sich später ergeben sollte, dass die Assad-Regierung jeweils für den betreffenden Gaseinsatz verantwortlich war. Die Regierungen der USA, Frankreichs und GB, die die Angriffsbefehle gaben, hätten sich des ‚Kriegsverbrechens der Aggression‘ strafbar gemacht. Bei einem derartigen Selbstjustizangriff westlichen Regierungen hatte umgekehrt das Assad-Regime das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta zur Seite und konnte mit seiner Luftabwehr feindliche Raketen oder Flugzeuge abschießen, wie bereits geschehen.“ Die Haltung der Bundesregierung, „vielleicht illegal, aber doch irgendwie legitim, man muss doch irgendwas unternehmen“ sei außerrechtlich. „Wie bereits bei der Kosovo-Intervention wird völkerrechtlich verbotenes Handeln nicht durch moralische Legitimität geheilt. Bei einer eindeutigen Verletzung des Gewaltverbots der UN-Charta ist kein Raum für politisches Wegdrücken.“ Gerhard Baisch forderte eine strikte Einhaltung des Rechts, einen Einsatz von Gewalt gegen Staaten nur über den UN-Sicherheitsrat bzw. über den Weg eines 2/3 Mehrheitsbeschlusses in der Generalversammlung, welche dem Sicherheitsrat empfehlen könne, as zu tun ist. Weiterhin forderte er keine Selbstermächtigung zur humanitären Intervention, Bestrafung von Kriegsverbrechen und die Stärkung des Internationalen Strafgerichtshof u.a. durch Beitritt aller Staaten zu den Römischen Verträgen sowie Effektivierung der Giftgasuntersuchungsstrukturen.
Kristin Helberg berief sich in ihrer Rede v.a. auf die Untersuchungen der Internationalen Unabhängigen Untersuchungskommission zu Syrien des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, die seit dem 22. August 2011 alle Menschenrechtsverletzungen in Syrien dokumentiert, sowie die Untersuchungen der OPCW. Erstere sei auch eingebunden in den IIIM-Mechanismus. Die Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats veröffentlichte im Januar 2018 eine Übersichtsgraphik, in der mittlerweile 39 Vorfälle von Chemiewaffeneinsätzen aufgelistet werden von denen 33 dem Regime zugeschrieben und 6 Fälle als nicht eindeutig identifizierbar ausgewiesen werden, darunter auch 4 Sarin-Einsätze: Khan al-Asal und Al-Ghouta in 2013 sowie al-Latamneh und Khan Sheikhoun in 2017. Kristin Helberg weist darauf hin, dass die Herstellung von Sarin eine fachliche Expertise sowie professionelle Produktionsstätten erfordere. Das Vorprodukt zur Sarin-Herstellung sei Methylphosphonyl Difluorid. Die chemische Unreinheit Hexafluorphosphat (PF6) sei von der OPCW als Marker-Chemikalie der syrischen Sarin-Produktion festgestellt worden. Diese wurde im Zusammenhang mit den Sarin-Einsätzen in Khan Scheikhoun, al‐Latamneh und al-Ghouta gefunden. Kristin Helberg schlussfolgert zu dem Auffinden von PF6, es beweise dass das eingesetzte Sarin mit dem Vorprodukt DF aus syrischen Chemiewaffenbeständen stammen müsse und die Herstellung von Sarin große Fachkenntnis und eine professionelle Produktionsstätten erfordere. Kristin Helberg widersprach damit der Ausführung von Jan van Aken. Sie argumentiert in Bezug auf den Einsatz von Sarin durch Rebellen, dass Sarin nicht durch die Türkei geliefert worden sei, da die Türkei kein Chemiewaffenprogramm habe und Regime-Vertreter gegenüber der OPCW betont hätten es seien weder Chemikalien noch entsprechende Waffensysteme abhandengekommen. Damit argumentiert Kristin Helberg auch gegen die Ausführungen, Sarin könne in die Hand der Rebellen gefallen sein. Kristin Helberg führt weiterhin an, dass Syrien mit dem Beitritt zur Chemiewaffenkonvention nicht alle Chemiewaffen deklariert habe. OPCW-Inspektoren sprächen von „Lücken, Widersprüchen, Ungereimtheiten und Diskrepanzen“ bei der Deklarierung der Chemiewaffenbestände. Im Dezember 2014 und Januar 2015 wurden Spuren von Sarin an einer militärischen Forschungsstätte in Syrien gefunden.
Bezüglich der Frage des cui bono argumentiert Kristin Helberg, dass ab September 2013 die Erklärung, Chemiewaffeneinsätze der Rebellen seien erfolgt, um westliche Vergeltungsangriffe gegen das Assad-Regime zu provozieren, nicht mehr gelte. Die Reaktion auf Ghouta war kein militärischer Angriff, sondern ein Abkommen mit Damaskus zur Vernichtung seiner Chemiewaffen. Die Angriffe des Westens 2017 waren völkerrechtswidrig, hätten aber keinen Nutzen für die Rebellen gehabt. Kristin Helberg argumentiert, die Angriffe seien im Interesse des Regimes gewesen, da es sich als Opfer einer „völkerrechtswidrigen und imperialistischen Aggression des Westen“ stilisieren konnte. Daher stelle sich die Frage nach dem cui bono anders. Die Chemiewaffenangriffe in Syrien hätten nur dem Regime genützt, denn sie hätten unter den Bewohnern oppositioneller Gebiete den Terror verbreitet, den das Regime brauchte, um diese Gebiete am Ende nicht nur zurückzuerobern, sondern auch von Gegnern zu säubern, indem es weite Teile der Bevölkerung von dort vertrieben habe. In diesem Zusammenhang verweist Frau Helberg auf die BBC-Untersuchung „How chemical weapons have helped bring Assad close to victory“
Elias Perabo führte zu Beginn der anschließenden Diskussion aus, man frage sich bei den Chemiewaffeneinsätzen in Syrien immer noch, ob das Assad Regime beteiligt war oder nicht, obwohl es eine dichte Quellenlage durch UN- und andere Berichte und Untersuchungen gäbe. Dies läge laut Elias Perabo daran, dass Quellenlagen ausgeklammert und nicht auf alle faktenbasierte Berichte zurückgegriffen werde. Elias Perabo stellt eine friedenspolitische Frage ins Zentrum der Diskussion: wie kann das Schutzbedürfnis von Menschen sichergestellt und Chemiewaffeneinsätze und andere Menschenrechtsverletzungen geahndet werden? Würden diese Fragen nicht beantwortet, so würden immer wieder unilaterale, völkerrechtswidrige Militärschläge erfolgen.
Es folgt eine kurze Erwiderung der Referierenden und anschließend eine ca. einstündige, teilweise emotional aufgeladene Diskussion mit dem Publikum.
Eine Erkenntnis des Abends war, dass die Faktenlage keineswegs so klar ist, wie sie in der Öffentlichkeit von verschiedensten Seiten dargestellt wird. Allerseits werden der zuletzt eingerichtete IIIM-Mechanismus und die Erweiterung der Befugnisse der Fact Finding Missions der OPCW zur Täteridentifizierung als die zur Zeit wichtigsten zur Verfügung stehenden Hebel zur Klärung der Vorfälle und zur Überleitung in rechtssichere Gerichtsverfahren angesehen. -- Bericht von Lucas Wirl |